Wohn- und Geschäftsgebäude in Bregenz: Urbanität durch Sichtbeton

Sichtbeton in seiner puren Schönheit gilt nicht nur bei Architekten als der Baustoff der Moderne. Mit einem neuen Gebäude in Bregenz, in dem Wohnen und Einkaufen perfekt verbunden werden, beweisen die Architekten Markus Dorner und Christian Matt, wie auf besonders knappem Grund etwas Besonderes entstehen kann. Sie bauten ein ausdrucksstarkes Stadthaus, das aus der Masse des Wohnungsbaus auf faszinierende Weise hervorsticht. Verantwortlich für das Außergewöhnliche ist eine ausgefeilte Anwendung von Sichtbeton. Kein Wunder, dass das innovative Bauwerk mit dem „best architects“-Award ausgezeichnet wurde. 

„Ein kleines Stadthaus stellt sich gegen den Mainstream“, so bringt es Architekt Christian Matt fast schon verschmitzt auf den Punkt. Natürlich unterliegt Bauen Konventionen, aber Matt wollte nicht nach altbekannten Schablonen vorgehen: „Wir wollten hier etwas anderes machen“, betont er – und dazu brauchte es zunächst eben auch einen etwas anderen Auftraggeber: „Ein aufgeklärter Bauherr wurde hier zum Partner der Architektur“, sagt Christian Matt.

Die Rede ist von einem Wohn- und Geschäftsgebäude mitten in Bregenz, in unmittelbarer Nähe zum Martinsturm, dem Wahrzeichen der Vorarlberger Landeshauptstadt. Für die meisten Architekten wäre das ein Routineauftrag gewesen, nicht aber für Christian Matt. Der Neubau „sollte zeigen, dass Vielfalt anstelle von Wiederholung und räumlichem Reichtum den Kunden mehr anspricht als das Gewohnte“, wie der Architekt betont. Für seine Pläne brauchte Matt einen Baustoff, der seinen gestalterischen Vorstellungen freien Raum lässt, aber auch absolut verlässlich und formbar ist. Von Anfang an also war Christian Matt klar, dass nur Sichtbeton in Frage kam.

Sichtbeton schafft neue Sichtweisen 

Bereits vor einigen Jahren bewiesen die Bregenzer Architekten Dorner\Matt im „Haus der Generationen“ in Götzis mit einer rostroten Außenhülle aus Sichtbeton, wie der Baustoff die Betrachtungsweisen der Menschen beeinflussen kann – bis hin zum haptischen Erlebnis gerade für ältere Menschen. Die Kunst der Architekten dabei: Dort Raum schaffen, wo es auf den ersten Blick kaum welchen gibt. In Bregenz nun, wo auch das Architekturbüro seinen Sitz hat, ist das wieder vorbildlich gelungen: Die landschaftlichen Gegebenheiten, der Reiz der Topographie und der bauliche Bestand rundum fließen zu einem individuellen Ganzen zusammen.

Schon der erste Blick auf das Gebäude verrät den organischen Ansatz. Große, hohe Fenster wirken wie eingeschoben. Nahezu jede Einheit verfügt über eine Raumhöhe von rund sechs Metern, die ins nächste Geschoß greift. „Diese vertikalen Erweiterungen bilden sich in den rhythmisierten Fassaden entsprechend der inneren Logik der Grundrisse wieder ab“, betont Christian Matt, „dabei gleicht kein Grundriss dem anderen.”

Helle, individuelle Wohnungen und Geschäfte

Hier ist tatsächlich kein Grundriss wie der andere, weil auch keiner der heutigen Mieter wie der andere ist. So entstanden helle Wohnungen, in denen die Bewohner allein durch die Höhe ein wunderbares Raumgefühl erleben können. Das Raumgefühl freilich basiert auch auf einem weiteren Faktor: Sichtbeton mit einer sechzehn Zentimeter starken Innendämmung. Allein durch seine enorme Speichermasse schafft Beton ein angenehmes Raumklima.

Sogar höher als die einzelnen Wohn- und Geschäftsräume zeigt sich das Portal des Baus. So wirkt das ganze Gebäude einladend und fast schon öffentlich, was wiederum der Idee der Urbanität entgegenkommt. Diese freundliche Außenwirkung nimmt jeder Passant sofort wahr, sie erhöht also gleichermaßen die Attraktivität der Umgebung. Was aber die Wirkung besonders ausmacht, ist die herausragende Qualität des Sichtbetons. Damit sich dieses Material als plastisches Ausdrucksmittel eines modernen Stadthauses entfaltet, wurde der Beton mit Jurakalk vermengt. Am Ende wurde noch die äußere Hülle abgewaschen, was dem Bauwerk ein helles, klares und freundliches Auftreten gibt: Das Haus kommuniziert mit seiner Umgebung! Die hohen Anforderungen an die Ausführungsqualität dieser Sichtbetonflächen erforderten einen hohen Aufwand an Planung – da waren gute Betontechnologen gefragt.

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Sichtbeton kommuniziert 

Diese Kommunikation, verbunden mit wohnlicher Behaglichkeit, zeichnet den Neubau nach allen Seiten aus. So treten auch die acht Wohnungen in Kontakt mit der Außenwelt – nicht zuletzt, weil alle Wohnungen auf zwei Seiten gehen und mit Balkonen, Garten- oder Dachterrassen versehen sind. Ein weiteres Indiz für die urbane Kontaktaufnahme stellt das „Projekt im Projekt“ dar, wie es Hannes Zumtobel vom Architekturbüro Dorner\Matt nennt: eine Treppenverbindung zwischen der Thalbachgasse, in der sich das Haus befindet, und der Kirchstraße, der Parallelstraße. Einen Durchgang hatte es vorher zwar auch schon gegeben, die jetzige Verbindung vermittelt aber durch das gelungene Absetzen des Gebäudes geradezu einen mediterranen Charakter.

Kurz nach Fertigstellung wurde der Neubau mit dem „best architects“-Award in Gold ausgezeichnet. Für Bregenz heißt das, dass die an historischen Plätzen und Gebäuden reiche Stadt um eine Attraktion reicher geworden ist. Auch für das Architekturbüro Dorner\Matt hat der Award einen hohen Stellenwert: Den Preis erhalten vor allem innovative Projekte, bei denen weit über die starren Grenzen klassischer Architektur hinausgedacht wird. Da scheint es fast logisch, dass bei sehr vielen der ausgezeichneten Bauwerke ein Material im Vordergrund steht, das zeitgemäße Architekturströmungen überhaupt erst ermöglicht: Sichtbeton in seinen heutigen Qualitäten.

Daten + Fakten
Objekt: Wohn- und Geschäftshaus, Thalbachgasse 4, Bregenz
Bauherrschaft: Russmedia Immobilien GmbH & Co OG
Architekten: Dorner\Matt Architekten, Bregenz
Ingenieure/Fachplanung: Mader & Flatz, Bregenz
Grundstücksgröße: 1070 m2
Energiekennwert: 30 kWh/m2 pro Jahr
Baukosten: ca. € 2,75 Mio

Stichwort „Sichtbeton“ 

Sichtbeton ist Beton, der weder verputzt noch verblendet wird. Wenn Beton ausgehärtet ist, hat er die Eigenschaften von Gestein, eine weitere Bearbeitung ist nicht unbedingt nötig. Beton kann seine Oberfläche durch verschiedene Schalungen erhalten: Großflächige Schalungen führen zu ganz unterschiedlichen Strukturen, je nach dem Material, das dafür verwendet wird. Gebräuchlich sind Holz, Stahl und Kunststoff, manchmal kommen aber auch Kautschuk oder Hartschaum zum Einsatz.

Die optische Wirkungsvielfalt ist praktisch unbegrenzt, je nach Schalmaterial und dessen Bearbeitung reicht das Aussehen von holzähnlicher Maserung bis zu filigraner Ornamentik. Durch das Zusetzen von Farbpigmenten kann Beton außerdem jeden erdenklichen Farbton annehmen.