Schwimmender Beton? Aber sicher!

Am 28. und 29. Juni 2019 findet in Heilbronn die 17. Deutsche Betonkanu-Regatta statt. Mit dabei sind natürlich auch heuer wieder gleich mehrere österreichische Teams.

Sicher werden wieder einige Preise nach Österreich gehen – so wie 2015, als beispielsweise die TU Graz das leichteste aller Boote ins Wasser brachte: es wog ganze 16,65 kg. Und 2017, als wiederum die Grazer mit ihrem Boot „Printess Layer“ für Furore sorgten, belegten sie in der Konstruktionswertung den zweiten Platz.

September 2018: Die Ausschreibung zur 17. Betonkanu-Regatta 2019

Wer an der Regatta teilnimmt, wie etwa auch das Team „mitmischen“ von der TU Wien, wundert sich natürlich nicht mehr darüber, dass Beton schwimmt. Immerhin wundern sich noch viele Menschen darüber, dass sich der Werkstoff über Wasser halten kann – erklären aber kann es kaum jemand. Aus diesem Anlass – und in Vorfreude auf die Regatta in Heilbronn – berichten wir hier über die Geschichte vom „schwimmenden Beton“.

Schwimminsel in der Neuen Donau

Verblüffung erleben beispielsweise die Wiener immer wieder, wenn Touristen die robuste Beton-Schwimminsel in der Neuen Donau bewundern. Enstsprungen ist das beliebte Ausflugsziel dem interdisziplinären Studentenwettbewerb „Concrete Student Trophy“entsprang: Eine leichte Sandwich-Bauweise mit Kern aus extrudiertem Polystyrol und dünner Hülle aus korrosionsresistentem Textilbeton ermöglichte im Sommer 2014 eine neue Attraktivität in der Hauptstadt. Mit Sicherheit trägt die Beton-Insel zur weltweit schon fast sprichwörtlichen Lebensqualität Wiens bei!

So wundert sich in Österreich kaum noch jemand darüber, dass der Baustoff mit alten Vorurteilen aufräumt. Beton ist schwer – klar, aber das hält ihn nicht vom Schwimmen ab. Gerade in unserem Land hat sich der Baustoff Beton in den letzten Jahren sowieso neue Felder erobert, die man früher ganz sicher nicht mit ihm verknüpft hätte. Betontechnologen erforschen ständig neue Möglichkeiten, wie das immer junge und innovative Material in neuen Bereichen eingesetzt werden kann.

Beton schwimmt – natürlich!

Schwimmende Betonkanus, 2017 in Köln

Die Erkenntnis, dass Beton schwimmen kann, ist alles andere als neu. Genau genommen geht sie auf Archimedes zurück, der angeblich zufällig beim Baden das Prinzip erkannte, das nach ihm benannt wurde: „Die Auftriebskraft, die ein Körper in einer Flüssigkeit erfährt, ist genauso groß wie die Gewichtskraft des vom Körper verdrängten Mediums.“ Für Schiffe heißt das: Sie erhalten durch das Verdrängen des Wassers Auftrieb. Die mittlere Dichte eines Bootes ist  geringer als die Dichte von Wasser – also schwimmt es an der Oberfläche. Da spielt es keine Rolle, aus welchem Material das Boot ist: Es kann durchaus aus Beton sein!

Aber selbst viele Jahrhunderte nach Archimedes wollten die Menschen das nicht glauben. Als Joseph-Louis Lambot 1848 erstmals den Prototyp eines Bootes aus Stahbeton herstellte, war das eine Sensation. Er bastelte eine Weile daran herum, forschte, prüfte und probierte – und war Anfang 1855 in der Lage, ein Patent für sein Betonboot anzumelden. Der Zeitpunkt war nahezu perfekt: Vier Monate später, im Mai 1855, war Paris Schauplatz der bis dahin bedeutendsten Weltausstellung. Zwischen Champs-Élysées und Seine wurde ein Ausstellungspapast errichtet, insgesamt fünf Millionen Menschen wurden von den Attraktionen angezogen – und mittendrin war Joseph-Louis Lambot mit seinem Boot.

Beton übertrifft die Erwartungen

Es gab zahlreiche Attraktionen zu bewundern in Paris, aber das schwimmende Boot aus Stahlbeton übertraf die Vorstellungskraft der Besucher um einiges. Zu jener Zeit war Beton in der Infrastruktur oder im öffentlichen Raum noch nicht sehr präsent, erst kurz vor, nämlich 1845, war in Deutschland das erste Fertigteil aus Beton hergestellt worden – diese Betonwerksteintreppen hatten in der europäischen Branche für ebenso viel Aufmerksamkeit gesorgt wie das Boot von Lamot in Paris.

Die Geschichte des Baustoffs Beton ist voller Überraschungen. Dinge, die sich niemand vorstellen konnte, werden plötzlich Realität. So ist es auch kein Wunder, dass bereits um 1860 in Holland Schiffe aus Beton gebaut wurden: Stahl war knapp und teuer, Beton war schon damals relativ einfach herzustellen und hatte auch ökonomisch klar die Nase vorm. Zur selben Zeit wurden auch in Italien kleinerer Schiffe aus Stahlbeton hergestellt. Aber es dauerte noch eine Weile, bis durch Schalenbauweise Wasserfahrzeuge in Serie aus Beton hergestellt wurden – das war während des Zweiten Weltkriegs, um 1940. Die Entwicklung ging weiter: In den USA wurde um 1970 ein seetauglicher Tanker gebaut, der aber über das Stadium des Prototyps nie hinauskam.

Wer baut 2019 das leichteste Kanu?

Wenn heuer Studenten und Auszubildende bei der Betonkanu-Regatta um Trophäen und Bestmarken kämpfen, hat das freilich andere Gründe. Es geht nicht darum, wirtschaftliche Boote in Serienreife zu entwickeln. Die Fragen lauten: Wer konstruiert die besten Boote? Wem gelingt es, das Gewicht des Kanus nochmals zu reduzieren? Wer kann Beton- und Bootsbau am besten kombinieren? Was sich daraus entwickelt, weiß niemand genau vorherzusagen. Fest steht immerhin, dass aus der intensiven Beschäftigung mit schwimmendem Beton immer wieder Innovationen entstehen. So wie es Joseph-Louis Lambot gelang, den die Leute 1855 in Paris für verrückt erklärten.

Heute steht das Boot, das er bei der Weltausstellung präsentierte, in Brignoles im Museum. Es ist ein Besuchermagnet geworden. Trotz Regatta in Heilbronn.